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Neue Medien und alte Konflikte

Man kann nicht verurteilen, was man nicht kennt: Die BASTA-Gruppe der Gaildorfer Schulen lud in dieser Woche die Eltern ein, um Ballerspiele wie Counterstrike und Internet-Communities kennen zu lernen.

Richard Färber, Haller Tagblatt vom 21.11.2009

Gaildorf. Pool Day heißt das Szenario. Der Gewehrlauf huscht durch gekachelte Gänge und springt über ein Becken. „Langweilig“ meint eine Mutter, „Wechsel mal“, sagt Luka Vaigle, und Stefan Hunger lässt noch einen Schädel platzen und schaltet um auf „Italy“. Jetzt geht´s durch eine mediterran wirkende Stadt, treppenauf, treppenab, da ist ein Markt, da geht´s durch einen Keller und da kommt wieder einer, den man erschießen muss. Die Mutter darf auch mal. Mit der Maus zeigt man die Richtung, mit der W-Taste geht´s voran, erklärt Stefan. Die Mutter rennt gegen Wände, das Gewehr guckt in den Himmel. Dann flackert´s rötlich, das Bild kippt weg- aus die Maus. Am Nebentisch sitzen Philip Lack und Kevin Philipp und feixen.

Luka, Stefan Philip und Kevin sind das „Counterstrike-Team“ der BASTA-Gruppe. Die vier Schlossrealschüler sitzen in einem Klassenzimmer; Vaigle erklärt, die anderen drei sitzen vor Laptops und spielen Terroristenjagd. Auf der Leinwand sieht man das Spiel aus Hungers Perspektive, er ist heute der Terrorist. „Kills“ bringen Punkte und bessere Waffen, Hunger hat bereits, er klickt kurz durch, ein Messer, einen Revolver, ein Gewehr, Handgranaten.

„Counterstrike“ ist eine Art Cowboy und Indianerspiel ohne „Outdoor“-Anteil, dafür in Cinemascope. Es im Team zu spielen erfordert einen Computer, Anschluss an ein Netzwerk, sowie Fingerfertigkeit und große Konzentration. „Furchtbar“ sagt die Mutter, als der nächste Schädel platzt, und dann leert sich der Raum und es geht ins nächste Zimmer, wo Larissa Frey, Jenny Hoffer und Heiko Gaukel vom Schenk-von-Limpurg-Gymnasium die Tore zu den Internet-Communities „Kwick“ und „Facebook“ geöffnet haben, hinter denen weitere Schrecken lauern.

Vor vier Jahren haben Schüler-, Lehrer- und Elternvertreter der Peter-Härtling-Schule, der Parkschule, der Schlossrealschule und des Schenk-von-Limpurg-Gymnasiums eine Aktion „BASTA – Nein zu Gewalt“ organisiert. Seitdem agieren sie unter dem Namen BASTA gegen Jugendgewalt und Mobbing und arbeiten dabei auch mit dem Kreisjugendreferenten Dietmar Winter und dem Jugendsuchtberater Thomas Feil zusammen.

Am Dienstag und Mittwoch dieser Woche hat die BASTA-Gruppe zu zwei Elternabenden in den Räumen der Realschule und des Gymnasiums geladen – Counterstrike Testrunden und Schnuppern bei den populären Online-Communities Kwick und Facebook inklusive.

Die Absicht ist nicht, die Eltern zu erschrecken. Sie sollen lernen: Dass sie von ihren Kindern in der Nutzung neuer Medien längst abgehängt wurden, dass sie Konflikte durchleben, die schon immer zwischen Eltern und Kindern aufgebrochen sind, und dass ihre Ängste, wie Dietmar Winter erklärt, auch aus einem „kulturellen Unbehagen“ rühren können, das immer zu beobachten ist, wenn ein Medium zum Massenphänomen wird. Und, weil danach gefragt wird, dass einfach nicht zu belegen ist, dass jemand durch Gewaltspiele zum Gewalttäter wird. „Es hängt“, sagt Thomas Feil, „immer mit den sozialen Bindungen zusammen.“

Beschwichtigen will man nicht. Der Suchtberater Thomas Feil berichtet in der Diskussion von Extremfällen, von Kindern und Jugendlichen, die Türen eintreten, wenn ihnen der Zugang zum Computer verweigert wird. Seit einigen Jahren steige auch der Beratungsbedarf in Sachen Spielsucht, stellt Feil fest – wobei dieser begriff häufig als zu einfach Erklärung für komplizierte Konflikte gewählt werde.

Eine Definition von Sucht sei erfüllt, wenn die virtuelle Welt zur Heimat wird und die reale Existenz verkümmert, weil sich das Gehirn so umgestellt und angepasst hat, dass Kommunikation nicht mehr möglich ist. „Nach 10 Jahren ‚World of Warcraft’ ist man in der virtuellen Welt ein Profi und im richtigen Leben klappt nichts mehr“, sagt Feil.

Besorgte Eltern, das wurde an diesen Abenden deutlich, befinden sich auf einer Gratwanderung. Einerseits gilt es, die Selbstverständlichkeit zu akzeptieren, mit der ihre Sprösslinge neue Medien nutzen. Auf der anderen Seite sollten sie in der Lage sein, zwischen computergenerierten Alltagskonflikten und verhängnisvollen Fehlentwicklungen zu unterscheiden.

Es gibt Hilfen, Ratgeber, Richtwerte, wie beispielsweise Altersangaben zu Spielen. Ein einfaches Rezept gibt es nicht. Man könne die Computerzeiten begrenzen, sagt Winter, eine Zeit-Empfehlung aber könne er nicht liefern – „das hängt auch vom restlichen Freizeitverhalten ab.“ Sein Rat: „Verhandeln.“

Der Rat enthält eine ordentliche Prise Gift. Denn wer verhandeln will, muss sich auskennen. Und also geht’s hinüber zum „furchtbaren Counterstrike-Team, das freundlich grinsend und auf die nächste Mutter zum Abknallen wartet, und weiter in die Communities von Facebook und Kwick, wo „SweetlisaXL49“ oder so ähnlich der Welt ihre Geheimnisse, Hoffnungen und Wünsche offenbart, damit sie vom Anbieter schön vermarktet und von den anderen Mitgliedern ordentlich gemobbt werden kann.

Und wo Larissa, Jenny und Heiko zeigen, dass man auch wissen und verstehen kann, wie diese Welten organisiert sind, wie sie funktionieren, wo ihre Gefahren lauern und wie man sie umgeht – und dass man darüber reden kann.

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